28.10.2021
Wo Luther gelebt wird

Nach einer Corona-Zwangspause wird der Reformationstag in Möhra wieder groß gefeiert. Das Dorf, ein Ortsteil von Bad Salzungen, gilt als der kleinste authentische Lutherort in Thüringen. Hier lebten Martin Luthers Vorfahren, hier predigte er vor seiner Scheingefangennahme.

Siegmar Kallenbach fallen viele Dinge ein, die er reformieren würde. „In der Politik zum Beispiel den aufgeschwemmten Bundestag. Und in der Kirche die Kirchensteuer. Ich will sie nicht abschaffen, aber so wie sie jetzt eingezogen werden, finde ich es nicht ganz richtig“, sagt der 63-Jährige.

Das ist typisch Möhra. In dem Dorf, das seit Ende 2020 ein Ortsteil von Bad Salzungen ist, sagen die Menschen, was sie bewegt. „Die Möhraer sind extrem geerdet, etwas trotzig und direkt im besten Sinne. Sie sagen, was sie denken, geradeheraus und nicht verschnörkelt“, sagt Pfarrer Rudolf Mader. Das kann an der ländlichen Region liegen, in der sich Menschen doch (noch) näher stehen als in der anonymen Großstadt. Und am historischen Erbe. In Möhra haben Martin Luthers Vorfahren gelebt, in Möhra hat er kurz vor seiner Scheingefangenschaft im Glasbachgrund gepredigt, in Möhra sind noch heute Nachfahren des Mönchs und Theologieprofessors zu finden.

Luther ist Alltag

Siegmar Kallenbach wohnt am Lutherplatz, nur wenige Schritte von der Kirche entfernt und noch wenigere zum Lutherdenkmal, das 1861 errichtet wurde. „Für uns ist Luther Alltag. Wir sind damit groß geworden, das prägt natürlich. Uns wird eine gewisse Sturheit nachgesagt, wie Luther in manchen Beziehungen auch“, sagt der Zerspanungsmechaniker. Er ist Mitglied im Gemeindekirchenrat und eng mit dem Glauben verbunden. „Ich gehe zwar nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber doch viel öfter als nur Ostern und Weihnachten. Im Gottesdienst höre ich Worte, die mich aufmuntern oder auch zum Denken anregen.“

Der 63-Jährige erinnert sich an die vielen Jahre in der DDR, als der Staat nicht viel wissen wollte von der Kirche im Allgemeinen und Luther im Speziellen, und an die 1980er-Jahre, „als die Partei- und Staatsführung plötzlich erkannte, dass mit Luther viel Geld zu verdienen ist. Der 400. Geburtstag 1983 war ein großes Remmidemmi. Lehrer haben Touristengruppen durch den Ort geführt und in der Lutherstraße gab es einen Souvenirshop.“

Als die Kirchgemeinde den Kindergarten nach dem Mauerfall übernommen hat, kam Annelie Erbe mit der Kirche in Berührung. „Wir haben unter anderem das Erntedankfest und den Advent mitgestaltet“, erinnert sie sich. In den 1990er-Jahren wurde die gebürtige Eisenacherin Teil des Gemeindekirchenrates und ist seitdem regelmäßig in der Kirche. „Da komme ich zur Ruhe. Und das Singen ist für mich wichtig. Im Kindergarten habe ich ständig gesungen.“

Enges Miteinander

Der Reformationstag in Möhra erinnert an das Leben und Wirken Martin Luthers. Hunderte Menschen pilgern Jahr für Jahr in den kleinsten der authentischen Lutherorte in Thüringen, angelockt durch den Reformationsmarkt, der sich durch den Ortskern schlängelt, die offenen Höfe und die lebendigen Plätze. Nach einer Corona-Zwangspause soll das auch in diesem Jahr wieder so sein. „Ich freue mich, wieder hier zu sein. Und auch die Händler sind froh, nach langer Durststrecke wieder dabei zu sein. Der Markt wird genauso bunt und vielfältig wie 2019“, verspricht Veranstalterin Andrea Mörstedt. Zum dritten Mal von der Marktagentur Mörstedt organisiert, setzt Möhra auch in diesem Jahr auf ein enges Miteinander zwischen der Kirchgemeinde, der Stadt Bad Salzungen und den Vereinen des Ortes.

Bedeutendstes Fest

Siegmar Kallenbach hat in der Woche vor dem 31. Oktober viel zu tun. An diesem Sonntag öffnet er seinen Hof, verkauft Kürbissuppe und frische Waffeln und stellt als Vorsitzender des Rassegeflügelzuchtvereins Möhra die schönsten Tiere aus. „Der Reformationstag ist das bedeutendste Fest in Möhra. Es würde etwas fehlen, wenn es ausfällt“, betont er.

Das findet auch Pfarrer Rudolf Mader, der das Engagement der Kirchenmitglieder und der Vereine zu schätzen weiß. Gleichzeitig hat auch er eine Idee, was er reformieren würde. „Die Musik. Das jüngste Lied in unserem Liedbuch ist 50 Jahre alt. Die Texte und die Melodien müssen modernen werden“, sagt er. Hier kommt der Luther-Geist wieder durch: An alten Idealen festzuhalten, entspricht ihm nicht.

Reformationstag in Möhra

Der Reformationstag erinnert an den Startpunkt der Reformation. 1517 nagelte Martin Luther 95 Thesen an die Schlosskirche Wittenberg, um auf die Missstände in der Kirche aufmerksam zu machen. Der Reformationsmarkt Möhra findet von 10 bis 17 Uhr im Ortskern statt. Um 14.30 Uhr wird der Festgottesdienst am Lutherdenkmal gefeiert, Landesbischof Friedrich Kramer ist der Festprediger. Um 16 Uhr gibt der Tiefenorter Chor „Viva la Musica“ ein Konzert. Die Einnahmen werden für die Turmsanierung in der Lutherkirche gespendet.

(Gastbeitrag von Susann Eberlein)